Laufzeit

1870 - 2014

Umfang

1,9 lfm

Findmittel

Online-Findbuch

Inhalt

Geschichte der Firma Ferdinand North, Konsum Teigwarenfabrik bzw. Erfurter Teigwaren GmbH

(Auszug aus Tamara Hawich: Manufakturen, Maschinen, Manager.- Erfurt: 2001)

Ferdinand North (1829-1915) hatte zum 1. Oktober 1860 die Nudelfabrik und Großhandlung für Landesprodukte von Bellings Witwe und Co. übernommen. Peter Belling stellte seit 1793 Nudeln - Wassernudeln - her. Doch sein Hauptbetrieb war der Handel mit Landes- und Mühlenprodukten, den er sogar schon seit 1722 führte. Auch im jetzt durch Ferdinand North geführten Unternehmen blieb das das Hauptfeld, die Nudelherstellung war eher ein Nebenbetrieb. Doch schon bald investierte Ferdinand North in die "Nudel". Er modernisierte die Fabrikation in der Johannesstraße 133 durch den Einsatz der Dampfkraft und stellte nun seine Nudeln in neuer Qualität sowie verfeinertem Geschmack her. Von Bedeutung war dabei die Verwendung einer kleberhaltigen Weizenmehlsorte aus Österreich und das Einbringen von Eierzusätzen. Sein Konzept ging auf: Schon 1865 erhielt er für seine Nudeln zwei bronzene Medaillen, eine in Stettin auf der Allgemeinen Industrie Ausstellung und eine in Merseburg auf der Sächsisch - Thüringischen Gewerbe und Industrie Ausstellung. Ferdinand North beteiligte sich auch bereits erfolgreich an internationalen Ausstellungen, so 1865 in Porto, 1869 in Leipzig, 1879 in Sydney oder 1880 in Melbourne.

Der Hausfrau in den Topf geschaut

Die Erfolge überzeugten schließlich auch die anfangs zurückhaltenden Verbraucher in der eigenen Region. Die Abneigung gegen die "Fabriknudeln" verflog mehr und mehr. Kurz vor der Jahrhundertwende erregte North mit einer neuen "Kreation" Aufsehen, die auch die letzten Zweifler überzeugen sollte. 1883 wurde eine geschnittene Eiernudel auf den Markt gebracht. Eine Nudel, wie sie selbst die Hausfrau nicht viel besser machen konnte: Die "Hausmacher Eierschnittnudel".

Inzwischen war schon der Sohn Georg North ins Geschäft eingetreten. Die technischen Anlagen wurden zwar 1876 nochmals durch neue Dampfkessel und zwei Nudelpressen erweitert, trotzdem machte sich für die immer umfangreicher werdende Produktion ein Fabrikneubau notwendig. 1884 wurde damit begonnen. In der Roonstraße fand nun die Fabrikation und der en gross-Handel mit Landesprodukten und Mühlenfabrikaten statt. Die Betriebs- und Wohnstätten umfassten die Gebäude zwischen heutiger Liebknechtstraße und Stauffenberg Allee.

Die Leistungen der Firma und vor allem die Güte der Produkte wurden 1894 zur Thüringer Gewerbe und Industrie Ausstellung in Erfurt mit der "Königlich Preußischen Bronzenen Staatsmedaille für gewerbliche Leistungen" ausgezeichnet.

Auf Nudel-Studien-Reise nach Italien

1896 übergab Ferdinand North die gesamte Leitung des Unternehmens seinem Sohn. Georg North (1860-1924) war inzwischen verheiratet. Aus der Ehe gingen eine Tochter und zwei Söhne hervor. Georg unternahm verschiedene Reisen in die Schweiz und nach Italien, also in die "Heimat der Nudeln". Dort machte er sich die neuesten technischen Errungenschaften auf dem Gebiet der Nudelherstellung zu eigen. Und wieder errang die Firma höchste Auszeichnungen. 1904 offerierte das Erfurter Unternehmen 180 Nudel-Sorten zur Weltausstellung in St. Louis, von den 21 Ausstellern erhielt es die einzige Goldmedaille.

Damals fast eine Sensation: Um die gute Qualität zu sichern, unterwarf sich der gesamte Geschäftsbetrieb einer fortlaufenden freiwilligen Kontrolle durch ein Institut für Nahrungsmitteluntersuchungen. Man arbeitete streng unter der Losung: "Die gute Nudel nur gedeiht, wo Ordnung herrscht und Sauberkeit!" Die Räumlichkeiten wurden mehrmals umgebaut und erweitert. Das war auch aufgrund der gestiegenen Produktionszahlen notwendig geworden: Während 1896 etwa 5000 Zentner Nudeln erzeugt wurden, waren es 1909 exakt 24672 Zentner. So musste 1909/10 die zweite Erweiterung erfolgen; die Erfurter Firma Rudolf Walther & Co. übernahm den Auftrag.

Georg North engagierte sich auch für betrieblich-soziale, für gesamtwirtschaftliche und kulturelle Belange. In seinem Unternehmen führte er 1906 für die Angestellten und 1908 für die Arbeiter den Sommerurlaub ein. Er war Mitglied der Handelskammer Erfurt (1912 bis 1919) und des Geschichtsvereins zu Erfurt, dort war er 1919 sogar im Vorstand.

Krise in den Zwanzigern

1921/22 gründeten Georg North und seine Söhne Hans und Gerhard die OHG Ferdinand North. Nach seiner Ausbildung und verschiedenen Anstellungen im Ausland trat Hans North schon nach Kriegsende in das Familienunternehmen ein. Beide Söhne führten nach dem Tod ihres Vaters 1924 die Firma weiter. 1926 ließen sie nochmals bauliche Veränderungen vornehmen - Wohn- und Produktionsbereich wurden miteinander verbunden. Bis zum Jahr 1945 sind dann die Überlieferungen zur Firmengeschichte sehr spärlich. Die Branche, deren führender Vertreter Nudel-North mit der Henne als Markenzeichen war, berichtete, dass ein ganzer Teil der Unternehmen Mitte der 20er Jahre verkürzt arbeiten oder schließen musste. Das hatte verschiedene Ursachen. Neben Nudeln aus Frankreich und Italien überschwemmte jetzt "Stapelware" aus den Notzeiten, beides zu viel zu billigen Preisen, die deutschen Märkte. Steigende Kosten - und natürlich hohe Zölle auf das wichtigste Ausgangsprodukt, den Hartweizengrieß - erschwerten die Arbeit. Italien und auch Amerika waren die stärksten Konkurrenten.

1931 hatten auch die Teigwarenhersteller des Kammerbezirkes große Probleme, ihren Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Bei der Firma Ferdinand North hielt dieser Zustand noch 1934 an: Seit 1930 machte die Firma nur Verluste und keine Gewinne mehr. Schon mehrere Jahre wurde verkürzt gearbeitet. Inzwischen war wohl auch eine Sanierung der technischen Anlagen notwendig geworden.

15 Jahre Arbeitslager

Nach dem Kriegsende beschäftigte die Firma 55 Mitarbeiter und im Juli verfügte man noch über Weizenrohstoffe für eine eineinhalb monatige Produktion. Doch die Unternehmensbesitzer bekamen Schwierigkeiten. Der Betrieb wurde im Winter 1945 unter Sequester gestellt. Man begründete das mit der Mitgliedschaft Gerhard Norths in der NSDAP. Obwohl sein Bruder Hans als anerkanntes Opfer des Faschismus eingestuft war, konnte dieser das Unternehmen nicht zurückerhalten. Als eingesetzter Treuhänder und Betriebsführer versuchte er, die Vollenteignung in eine Teilenteignung umzuwandeln. Über die LDPD, deren Mitglied Hans North war, und verschiedene Ministerien, ja sogar die Sowjetische Militärbehörde erhoffte er noch im Frühjahr 1948 eine gerechte Regelung. Doch vergebens - die Enteignung der Firma und ihre Überführung in Volkseigentum wurden im Frühsommer 1948 bestätigt. Seine Hartnäckigkeit war wohl die Ursache für seine Inhaftierung am 10.Oktober 1948. 1950 verurteilte man ihn zu 15 Jahren Arbeitslager. Bis 1954 dauerte seine Haft. Dann wurde der Unternehmer in den Westen abgeschoben. Seine letzte Adresse war in Gütersloh.

Koste-Spirelli und auch Hörnchen

Die traditionsreiche Nudelfabrik wurde jetzt dem Verband der Konsumgenossenschaften unterstellt, später dem Konsum Süß- und Dauerbackwarenkombinat Markleeberg. 1950 hieß es lapidar "Konsum Teigwarenfabrik". Bald kam ein neuer Markenname hinzu: "Koste".
Die Koste Konsum Teigwarenfabrik Erfurt, jetzt unter der veränderten Anschrift Wilhelm-Pieck-Straße 5, stellte weiter verschiedene Nudelsorten her: Fadennudeln, Makkaroni, Hörnchen, Spirelli und Buchstaben.

Natürlich waren es nicht mehr 180 Sorten, aber das wäre auch aus heutiger Sicht unrentabel. Der Betrieb verfügte nun über ein eigenes Labor, das die Qualität kontrollierte.

1988 erreichte die Erfurter Teigwarenfabrik mit siebzig Mitarbeitern einen täglichen Produktionsausstoß von 17,5 t Nudeln und zwar in elf verschiedenen Sorten. Die Prozedur der Nudelherstellung begann bei der Zubereitung einer brotteigähnlichen Masse aus dem "Dunst" (ein mit Hartweizengrieß angereichertes Weizenmehl), Volleipulver und Eiern. Diese Masse wurde pneumatisch über Rohre in Teigpressen geleitet, mit Wasser vermischt und schließlich durch Formen gegossen. Acht Stunden trockneten dann die Nudeln bei ständiger Drehbewegung. Am Ende stand die automatische Verpackung in Plastetüten.

1990 hatte die Teigwarenfabrik jedenfalls keine schlechten Voraussetzungen für den Start in die Marktwirtschaft. Die "Erfurter Teigwaren GmbH" wurde gegründet und modernisierte sofort - am alten Platz - die Produktionsanlagen. Jetzt werden die Sortimente Spirelli, Wickli, Dralli, Hörnchen und Bandnudeln angeboten. Immer noch in bester Qualität, die von dem eigenen Labor ständig überprüft wird. Die Produkte der Erfurter Teigwaren GmbH erhielten schon bald das CMA-Güte-Siegel. Erfurter Nudeln werden nicht nur in der Region gekauft, inzwischen kann man sie auch in vielen anderen Bundesländern finden.
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Eine weitere Publikation aus dem Jahr 2011 bietet eine ausführliche Geschichte der Erfurter Nudelfabrik von ihren Anfängen bis ins Jahr 2011 einschließlich der Unternehmensentwicklung nach 1990 mit dem Umzug in die Eugen-Richter-Straße:

"erfurter - clevere Nudeln! Die Erfurter Teigwarenfabrik. Deutschlands ältester Nudelmacher. Eine Firmengeschichte seit 1793" von Jana Männig, Erfurt und Leipzig, 1. Auflage 2011"

Das Buch befindet sich im Bestand (U 017-5).

Dieser Bestand hat einen Umfang von 1,9 und enthält Unterlagen aus dem Zeitraum 1870 bis 2014.

Die Zitierweise lautet: Thüringer Wirtschaftsarchiv, U 017 - Erfurter Teigwaren GmbH, Konsum Teigwarenfabrik, Nudel North Nr. ....