Runtime
1980-1990
Extent
k.A.
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Die Sammlung des 1962 in Eisenach geborenen Ralf-Uwe Beck belegt vor allem mit einer herausragend vielfältigen und umfangreichen Eingabekorrespondenz Möglichkeiten und Grenzen von Bürgerprotest und Umweltengagement in der DDR in den 1980er Jahren.
Seit Beginn der Volljährigkeit nutzt Beck die 1961 in der DDR gesetzlich verankerte Möglichkeit des Protestes gegen staatliche Missstände und Entscheidungen. 1980 schreibt er seine erste Eingabe an den Rat der Stadt Eisenach zur Verschmutzung des Flusses Hörsel. Im „Internationalen Jahr der Behinderten“ der UNO 1981 folgen Leserbriefe an Verlage zur Vernachlässigung der Eingliederung von Menschen mit Beeinträchtigungen in das gesellschaftliche Leben. 1982 wendet sich Beck beispielsweise mit einer Eingabe an den Rat der Stadt Eisenach gegen die Kosten der Aufstellung des „Denkmals zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ in der Wartburgallee, im Außengelände der „Gedenkstätte Eisenacher Parteitag 1869“.
1982 lässt sich Beck taufen und nimmt ein Theologiestudium in Jena auf. Die Eingaben und Beschwerden der Jahre 1983 und 1984 beziehen sich auf Alltagsbelange, wie die Diskriminierung durch Gaststättenpersonal aufgrund von Kleidung, aber auch auf die Beobachtung von faschistoiden Äußerungen von Schülern während einer Theaterveranstaltung in Eisenach. Eine chronologische Aufzeichnung der Gespräche Becks mit dem Jenaer Wohnungsamt dokumentiert die vergebliche Wohnungssuche in Jena bis hin zum gebilligten Schwarzeinzug.
1985 gründet Beck mit dem Jenaer Stadtjugendpfarrer Ulrich Kasparick eine freie Umweltgruppe, die in den Jahren 1985 und 1986 zahlreiche Eingaben an die Abteilung Umweltschutz beim Rat der Stadt Jena richtet. Sie befassen sich etwa mit der Luftverschmutzung in der Innenstadt als Auslöser von Pseudokrupp bei Kleinkindern, protestieren gegen ungenehmigtes Fällen von Bäumen und fordern Container für Plastikabfälle. Auch ein 19 Punkte umfassender Fragenkatalog, gerichtet an den Jenaer Stadtrat für Umweltschutz, ist in den Eingaben enthalten. Selbst Eingaben gegen Polizeibeamte an die Beschwerdestelle der Volkspolizei scheut Beck nicht.
Mit Beginn seines Vikariats in Pferdsdorf 1987 wird Beck im Arbeitskreis (AK) Umweltschutz der Kirchgemeinde Eisenach leitend aktiv. Auch hier ist eine rege Eingabekorrespondenz von ihm und anderen Mitglieder überliefert. In Eingaben an die Abteilung Umweltschutz des Rates der Stadt Eisenach aus dem Jahr 1987 richten sie sich gegen die Lärmbelästigung durch im Leerlauf stehende Lokomotiven in Wohnortnähe, gegen die Lagerung von Giftfässern auf der Rennbahn Eisenach, fordern fleischarme Ernährung in Betriebsküchen und Kindereinrichtungen, die Aufstellung von Fahrradständern und vieles mehr. Ein Brief an den AK Umweltschutz Nordhausen dokumentiert eine Eingabe-"Kampagne" zur besseren Versorgung mit Fahrradersatzteilen. Die Ev.-Luth. Superintendentur und die Abteilung Inneres des Rates der Stadt Eisenach veranlasst die rege Eingabetätigkeit des AK Umweltschutz bereits 1987 zu einer Aussprache mit Beck, wie dessen Niederschrift belegt. Eingaben aus dem Jahr 1988 kritisieren Entsorgungsmängel auf Mülldeponien, Mängel beim Emissionsschutz Volkseigener Betriebe (VEB), FCKW-haltige Sprays, die stattliche Informationspolitik bei Umweltschutzdaten, aber auch kulturelle Einschränkungen wie die Streichung der sowjetischen Zeitschrift Sputnik von der Postzeitungsliste. 1989 stehen Eingaben im Zusammenhang mit Mülldeponien im Vordergrund. Durchgängig finden sich über die Jahre zahlreiche Eingaben zu Versorgungsmängeln.
Weitere Unterlagen vom AK Umweltschutz Eisenach betreffen die seit 1986 durchgeführten Eisenacher Umwelttage, das zweite hessisch-thüringische Umweltgespräch im April 1989 in Creuzburg/DDR und den Protest gegen die Hessen Rallye in Thüringen 1990. Eine kleine Fotosammlung gibt Einblicke in illegale Müllablagerungen auf der Deponie Mihla, die Eisenacher Umwelttage 1989 und die Demonstration gegen die Hessen Rallye 1990.
Ab 1987 setzt sich Beck zudem für die Anstellung eines kirchlichen Umweltbeauftragten ein und wird 1989 erster Beauftragter der Thüringer Landeskirche für Umweltarbeit. Eine entsprechende Eingabe des AK Umweltschutz an die Thüringer Landessynode vom 8.2.1988 ist ebenso erhalten wie Informationsfragen an verschiedene kirchliche Umweltbeauftragte in der Bundesrepublik. Im Juli und nochmals im September 1989 bittet Beck das Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft Berlin um die Genehmigung seiner Aufnahme in den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND). 1990 gründet er den BUND Thüringen mit.
Im Zusammenhang mit dem Aufbau einer Umweltbibliothek in Eisenach stehen die in der Sammlung enthaltenen Drucksachen des Kirchlichen Forschungsheim Wittenberg, Samisdat wie „Streiflichter“ der Arbeitsgruppe Umweltschutz des Jugendpfarramtes Leipzig, thematische Materialsammlungen zu Müllimporten, Energie/ Kernenergie und Luftverschmutzung sowie Aufrufe und Programme der Bürgerinitiativen und neuen Parteien 1989. Aus dieser Zeit stammen auch kirchliche Stellungnahmen zum politischen Engagement von Mitarbeitenden und zur politischen Nutzung kirchlicher Räume, beispielsweise vom Landeskirchenamt Thüringen.
Bereits im Sommer 1990 fordert Beck bei der Staatsanwaltschaft Erfurt die persönliche Einsicht in die Unterlagen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Die Operative Personenkontrolle (OPK) „Einsatz“ zur Zersetzung des AK Umweltschutz Eisenach ab 1986 ist in der Sammlung enthalten, ebenso der im April 1989 wegen ungesetzlicher Verbindungsaufnahme und öffentlicher Herabwürdigung der staatlichen Ordnung gegen Beck eröffnete Operative Vorgang (OV) "Vikar“.