Vorwort

Die 1856 in Suhl von Gerson Simson gegründete Waffenfabrik Simson &Co. erlangte erst nach dem Ersten Weltkrieg eine überregionale Bedeutung als im Zuge der Durchführung der Bestimmungen des Versailler Vertrages das Heereswaffenamt im Auftrage des Reichswehrministeriums mit der Firma am 25. Mai 1925 einen so genannten Mantelvertrag abschloss, der den Simsons das Privileg einräumte, als einzige Firma im Deutschen Reich Gewehre, Pistolen und Maschinengewehre für die 100.000 Mann starke Reichswehr zu produzieren. Diese Monopolstellung weckte nicht nur Konkurrentenneid bei den anderen deutschen Waffenfirmen, sondern war den aufstrebenden Nationalsozialisten von vornherein ein Dorn im Auge. Bereits ab 1927 versuchte der von Adolf Hitler neu ernannte NS-Gauleiter von Thüringen, Fritz Sauckel, mit verschiedenen Machenschaften die wirtschaftlich starke Stellung der Suhler Firma, die neben Waffen vor allem auch Autos (bis 1934), Motorräder, Fahrräder und Kinderwagen produzierte, zu erschüttern. Aber erst nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 sah Sauckel, der inzwischen zum Reichsstatthalter für Thüringen ernannt wurde, endlich die prestigeträchtige Chance gekommen, das Unternehmen zu "entjuden" und sich somit bei Hitler als konsequenter Verfechter des nationalsozialistischen Arisierungsprogramms in Thüringen zu profilieren. Als zunächst der Versuch des Flickkonzerns misslang, mit Hilfe des Heereswaffenamtes das Suhler Unternehmen von den Simsons kostengünstig aufzukaufen, setzte Sauckel voll auf eine Kriminalisierung, gerichtliche Verurteilung und Enteignung der Besitzer des Werkes, Artur und Dr. Julius Simson. In Anbetracht der starken Position des Heereswaffenamtes und der 1933/34 noch nicht ganz gefestigten Positionen des nationalsozialistischen Regimes im In- und vor allem im Ausland, konnte Sauckel in dieser Angelegenheit zunächst lediglich behutsam vorgehen, zumal die Prüfungen des Rechnungshofes des Deutschen Reiches im Juni/Juli 1933 bei Simson keine gravierenden Mängel bei der Vertragserfüllung mit dem Heereswaffenamt erbracht hatten. Parallel zu der vom Heereswaffenamt angestrebten Überführung des Unternehmens in eine Kommanditgesellschaft, der späteren Berlin-Suhler Waffen- und Fahrzeugwerke Simson &Co. (BSW) unter der Geschäftsführung von Dr. Heinrich Hoffmann und Karl Beckurts begann im Auftrag von Sauckel der Zella-Mehliser Polizeirat Hellmuth Gommlich zunächst verdeckt und dann später, von der Staatsanwaltschaft Meiningen offiziell beauftragt, als Sonderermittler mit den kriminalpolizeilichen Untersuchungen derGeschäftstätigkeit der Firma Simson seit 1925. Das von Sauckel vorformulierte Ziel der Ermittlungen war die Suche nach ausreichenden Beweisen, die belegen sollten, dass die Simsons in ihren Geschäftsbeziehungen das Reich übervorteilt hatten. Trotz eines riesigen Ermittlungsaufwandes lehnte aberdie zuständige Strafkammer beim Landgericht Meiningen am 20. Juni 1935 zunächst die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen die Simsons und Andere ab. Erst nach der Flucht der Simsons in die Schweiz und einer Entscheidung des Oberlandesgerichtes Jena kam es im Sommer 1936 dann doch noch zu einem Prozess. Zwar endete auch dieser letztendlich mit einem Fiasko für Sauckel, aber der Thüringer Gauleiter hatte bereits im Herbst 1935 mit Rückendeckung von Hitler, Herman Göring und Rudolf Heß von der Reichswehr die Zustimmung erhalten, die Firma nochmals mit einer Tiefenprüfung unter Druck zu setzen. Diesen erneuten politischen und wirtschaftlichen Druck konnten die Simsons nicht mehr standhalten und unterzeichneten resignierend am 23./28.11.1935 Verträge zur Abtretung ihres Eigentums an Sauckel. Außerdem verpflichteten sie sich, eine so genannte Wiedergutmachungssumme in Höhe von 1,75 Millionen RM an das Reich zu zahlen. Das Vertragswerk stellte somit gleichbedeutend eine entschädigungslose Enteignung der jüdischen Eigentümer des Waffenwerkes dar. Im Laufe des Jahres 1936 wurde das enteignete Waffenwerk in Suhl als Hauptmasse in die von Sauckel gegründete und geführte Nationalsozialistische Industriestiftung "Wilhelm Gustloff" eingebracht und in den Folgejahren zu einer der bedeutendsten Rüstungsschmieden des Dritten Reiches profiliert. Nach 1945 wurde das Unternehmen teilweise demontiert und über die Zwischenform der SAG (Sowjetischen Aktiengesellschaft) in den VEB Simson Suhl (bis 1968) überführt.

Der stark dezimierte Aktenbestand des Unternehmens zwischen 1856 und 1945 wurde 1980 auf der Grundlage der Verordnung über das staatliche Archivwesen der DDR von 1976 an das Thüringische Staatsarchiv Meiningen übergeben. Erhebliche Lücken weist der Bestand insbesondere für die Zeit vor 1920 auf und teilweise für die Zeit von 1925-1933. Letzteres ist dem Umstand geschuldet, dass die im Zuge der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen 1934/35 beschlagnahmten Akten nach Meiningen zur dortigen Staatsanwaltschaft verbracht wurden und dort am 23.02.1945 bei der Bombardierung des Land- und Amtsgerichtes Meiningen verbrannt bzw vernichtet wurden. Nur ein kleiner Teil der Akten, vor allem betreffend der nationalsozialistische Enteignung des Unternehmens, wurde vom damaligen leitenden Mitarbeiter Max Fischer in seiner Wohnung gesichert, jedoch nach 1945 dem Unternehmen nicht zurückgegeben. Nach dem Tod Fischers gelangten die Akten zunächst in die Wissenschaftliche Allgemeinbibliothek Suhl. Auf Grund einer 2006 geschlossenen Vereinbarung zwischen der Stadt Suhl und dem Staatsarchiv Meiningen erhielt das Staatsarchiv die Akten (sogenannter Fischer-Nachlass) als Bestandsnachtrag. Diese Akten wurden auf der Grundlage der Erfassung von Anneliese Fischer neu verzeichnet und in den Gesamtbestand integriert. Die Erschließung des Gesamtbestandes wurde bereits vor 1980 von Brigitte Voigt und Axel Schneider im Betriebsarchiv des VEB Kombinat Fajas Suhl vorgenommen und 1999 von Dr. Norbert Moczarski überarbeitet. Eine Retrokonvertierung in Faust 3.0 bzw. später Augias 8.1. erfolgte 2007 durch Christel Möller. Die Systematisierung für die Findbuchherstellung nahm 2013 der wissenschaftliche Mitarbeiter, Thomas Eifert, M.A., in Abstimmung mit Dr. Norbert Moczarski vor.